Hast du Töne: Crowdfunding für Musik auf der Leipziger Buchmesse

Sie sprechen mich auf der Empore der Glashalle an. Tine und Moritz sind CousCous, ein junges Musikduo aus Dresden. Sie machen sauberen Acoustic Art Pop ohne Loopstations und Sampler. Nach dem Debütalbum „Paper Tiger“ aus dem Jahr 2012 ist jetzt das Projekt „Tales“ in der Pipeline. Das Besondere: Das Album wird anstelle eines Booklets mit einem gebundenen Hardcover-Buch kombiniert, das die Leipziger Künstlerin Anemone Kloos liebevoll illustriert. Die Finanzierung erfolgt über musicstarter.de, Deutschlands erstem Crowdfunding-Musiklabel.

Auf Promotiontour: Das Duo CousCous auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier

Auf Promotiontour: Das Duo CousCous auf der Leipziger Buchmesse. Fotos (2): Detlef M. Plaisier

Stell dir vor, du könntest öfter mal lachen… Der Junge mit den Schmetterlingen im Bauch sucht auf einer abenteuerlichen Reise die fehlenden Gefühle in seiner Welt. Er begegnet skurrilen Menschen wie der Frau mit den zwei grünen Daumen, dem Mädchen mit dem Herz auf der Zunge und dem Mann, der anderen Löcher in den Bauch fragt, er findet Freunde und trifft auf einen Professor mit einem dunklen Geheimnis…

„Tales ist ein Album, das man immer wieder hören will. Du legst es ein und hörst es an einem Stück durch“, verspricht Moritz. Doch die Hürde ist hoch: Die Fundingschwelle liegt bei 15.000 Euro. Die gesamte Summe fließt in Aufnahme und Produktion der CD, Anfertigung der Illustrationen und den Buchdruck. „Erreichen wir sogar 30.000 Euro“, erzählt Moritz, „bekommen wir einen Plattenvertrag mit Musicstarter. Dann wird unser Projekt professionell veröffentlicht und promotet. Ein Traum für uns!“

Leipziger Buchmesse 13. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (26)Wer das Projekt unterstützen möchte, kann hier seinen Beitrag leisten. Die Crowdfunding-Aktion läuft bis zum 2. Mai 2015. Auf der Seite von musicstarter.de stehen auch die Termine der Promotionshows von CousCous im März und April.

Hallo, Wolf Schmid: Der Pedalpilot zu Hause in der Leipziger Radkneipe

Der Charme des Abends sprudelt aus zwei Quellen: Der Lesung von Autor Wolf Schmid. Und dem Ambiente der Kneipe Dr. Seltsam. Sie bildet den passendsten Rahmen, den es für einen Roman über Fahrradkuriere wohl geben kann, denn sie ist tagsüber eine Selbsthilfewerkstatt für Radfahrer und abends eben Kneipe. Folglich hängen Fahrräder von der Decke des heruntergekommenen Gebäudes. Die Wand mit den Werkzeugen, mit warmem Licht angestrahlt, wird zum Hintergrund für Schmids Geschichte, wie es sich kein Fotograf besser wünschen könnte.

Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir

Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir

Schmids Fangemeinde ist bereits vor Ort: Die Radkuriere Leipzigs, welche die Veröffentlichung des Buches im Herbst vergangenen Jahres bereits ersehnt hatten. „Wir wussten aus einem Internetforum davon, in dem Schmid Hamburger Kuriere darum bat, zu checken, ob die Orte in der Hansestadt noch so stimmen“, erzählt einer, der bis vor drei Jahren noch selbst Kurier war. Und auch Schmid ist ein Ex-Kurier: „Ich fuhr während des Studiums in Hamburg und danach noch eine Weile professionell in München“, so der 39-Jährige. Schmid hat beim Eichborn-Verlag volontiert, Ethnologie und Allgemeine Rhetorik studiert und war unter anderem Buchhändler und Messebauer. Seit 2009 lebt er in Lissabon und arbeitet in einem Call-Center, wo die Kunden eines Schweizer Telekommunikations-Unternehmens betreut werden. Er weiß also, wovon er schreibt, wenn es um prekäre Jobs geht.

Auch sein Verlag ist – noch – eine prekäre Angelegenheit. Der Liesmich-Verlag ist frisch gegründet, der Pedalpiloten-Roman ist die erste Veröffentlichung überhaupt. „Ich freue mich, dass das Interesse immer noch anhält. Seit Herbst bringen wir uns immer wieder ins Gespräch“, so Verleger Karsten Möckel, der hart am PR-Rad dreht und alle möglichen Medien dazu gebracht hat, auf den Wagen aufzuspringen. Die Verkäufe sind dem Aufwand allerdings noch nicht nachgekommen. Bisher sind etwa 800 Stück verkauft. Klingt wenig. Ist aber für einen doppelten Erstling ein beachtlicher Erfolg. „Ich habe mich bewusst für diesen Verlag entschieden, weil ich nicht an große Verlage schreiben und ein halbes Jahr auf Antwort warten wollte“, sagt Schmid. Nun boxen sie sich eben zusammen durch, der Autor und der Neuverlag.

Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier

Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier

Schmid hat im Rahmen der Buchmesse eine Reihe von Lesungen absolviert. Aber richtig zu Hause ist er im Dr. Seltsam, wo das Buch zur Veröffentlichung präsentiert wurde. Schmid erntet viele Lacher und Zwischenrufe. Ihm gelingt es, bei der Lesung  nur wenig von der Geschichte preiszugeben. Und Schmid erklärt den Kurier-Slang: „Beim offenen Funk muss man die Touren ersteigern und sich gegenseitig in der Zeit, in der man die Tour fahren kann, unterbieten. Gibt´s so was in Leipzig?“ Gibt es nicht.

„Hier gibt es zwei große Kurierbuden, und die fahren meist feste Touren“, erzählt der Ex-Kurier. Er sah es immer so, dass er für das Radfahren bezahlt wurde. „In seinem Kopf klackerte permanent eine Zähluhr, die Monats- und Tagesumsatz, den gegenwärtigen Stundenlohn und Gewinn anzeigte, Ausgaben aufaddierte und Alarm schlug, wenn er vom Haben ins Soll rutschte“, heißt es im Roman. Die Leipziger Kuriere kennen das nur zu gut. Verleger Möckel versucht derweil Bücher zu verkaufen. „Es kostet 15 Euro. Das ist verdammt viel Geld für einen Kurier. Das hat mir damals den Kühlschrank voll gemacht“, erzählt der Ex-Fahrer. Und so bleibt Möckel an diesem Abend auf den Romanen sitzen.

Vielen Dank für den Text an Eva Maria Kasimir!

Gastkommentar: Mein jüdischer Abend auf der Leipziger Buchmesse 2015

Heute geht es ins Ariowitsch Haus, Zentrum jüdischer Kultur im Leipziger Waldstraßenviertel.

Um 19 Uhr beginnt die Lesung von Michael Degen. Er stellt seinen Roman „Der traurige Prinz“ vor.
Der Saal füllt sich, alle Plätze sind bereits besetzt. Michael Degen steht noch immer auf der Theaterbühne, und das mit 82 Jahren. Bemerkenswert. Schon die ersten Passagen machen Lust, weiter zuzuhören. Es ist spannend und dabei so bildhaft, dass man glauben könnte, man sei selbst bei der Begegnung von Michael Degen und Oskar Weber dabei. Die Lesung macht Lust auf mehr von diesem Buch.

20 Uhr. Die witzigste Stunde des Abends beginnt: Josef Joffe und Professor Hellmuth Karasek erzählen Witze.
Josef Joffe: Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß!
Hellmuth Karasek: Das find ich aber gar nicht komisch!
Der Saal ist brechend voll, selbst auf den Stufen zum Saal und am Rand der Bühne wird noch Platz genommen, damit auch alle hineinpassen. Zugegeben: Ich verstehe nicht viel von Witzen und meist muss man mir Witze auch erklären, aber hier war es einfach ein Erlebnis. Ich habe jeden Witz verstanden und musste, wie jeder andere auch im Saal, die ganze Stunde einfach nur herzhaft lachen. Ich hatte noch ein Buch zum Signieren dabei. Auch dafür fand sich nach der Lesung noch Zeit, und so bin ich nun stolz auf ein Autogramm von Professor Karasek.

Um 21 Uhr sollte die Lesung von André Herzberg beginnen. Sie verzögert sich um eine halbe Stunde. Angekündigt ist die Buchvorstellung „Alle Nähe fern“ mit Musikbegleitung. Der Saal hat sich nach Karasek, dem Zugpferd des Abends, leider schon etwas geleert. Herzbergs Buch erzählt die Familiengeschichte von drei Generationen vom Ersten Weltkrieg über Migration bis heute, von Fremdheit zwischen Vätern und Söhnen. Als es zur Musik übergeht, hören wir den Titel „Märchen der Freiheit“, vorgetragen von André Herzberg mit Gitarre und Mundharmonika. Hier muss ich leider sagen: Die Musik gefällt mir besser als der Text. Das liegt vielleicht daran, dass mich Herzbergs Geschichte nicht wirklich mitnimmt. Was bleibt, ist sein Satz „Musiker sind wie die Sonne. Sie gehen im Osten auf und im Westen unter.“

Vielen Dank für den Text an Sandra Gräfenstein!

Gastkommentar: Mein Buchmesse-Freitag, der 13.

Autorin Sandra Gräfenstein (links) auf der Leipziger Buchmesse 2015. Foto: privat

Autorin Sandra Gräfenstein (links) auf der Leipziger Buchmesse 2015. Foto: privat

Dieses Jahr geh ich nicht allein auf die Buchmesse, sondern nehme eine gute Freundin mit. Für sie ist es das erste Mal (auf der Messe), für mich das dritte Mal. Wir haben keine festen Termine, wir wollen einfach durch die Hallen schlendern und schauen, was es Neues gibt.

Los geht’s, als wir um 9:30 Uhr in der Glashalle ankommen, die schon geöffnet ist. Die Hallen öffnen um zehn. Der erste Weg führt zum ZDF. Ich hole ein neues Käppi für den Sommer, eine Tüte Gummibärchen für unterwegs und den neuen Einkaufswagenchip.

Um zehn geht’s zuerst in Halle 2. Ich sichere mir alles Wichtige an Studiensachen, die neu und wieder zum Mitnehmen sind, bei der Bundesbank und der Bundesregierung. Meine Freundin sucht alles zur Vorbereitung auf das erste Schuljahr zum Lesen lernen, zum Malen und Basteln. Mir fällt zum ersten Mal auf, wie groß das Angebot ist… kleine Pixi-Bücher einfach zum Mitnehmen, ein Euro-Banknoten-Spiel von der Bundesbank, Bücher mit Geschichten zu Europa und zur Umwelt, Ritter- und Weltraumgeschichten. Eine Weltkarte haben wir auch gefunden, bereits laminiert und perfekt geeignet als Schreibtischunterlage zum Lernen.

Danach besuchen wir die Hallen 4, 5 und 3. Halle 1? Nein Danke, viel zu voll. Die Besucher werden jedes Jahr mehr. Bereits jetzt, gegen 13 Uhr, ist es nicht mehr so einfach, zur Glashalle zu gelangen. Die Durchgänge sind teilweise gesperrt. Leider stehen wir gerade an der falschen Röhre, hier ist nur noch Einbahnstraße in die Halle hinein. Also auf in die Schlange zum anderen Durchgang zur Glashalle und erstmal einen Kaffee und ein paar Kekse. Die Preise machen genügsam.

Frisch gestärkt trauen wir uns ein zweites Mal in die Hallen 3 und 2 – einfach nochmal durchschlendern und dann rechtzeitig zu 15 Uhr am Blauen Sofa eintreffen, damit wir einen guten Platz finden für die Gesprächsrunde mit Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer.

So, nun ist es aber gut. Beim Stehen schmerzen bereits die Füße. Auf zum Auto, auf dem Sofa zuhause etwas ausruhen. Ich freue mich schon auf morgen Abend. Dann gibt es Begegnungen im Ariowitsch Haus um 20 Uhr mit Hellmuth Karasek und um 21 Uhr mit André Herzberg.

Autorin Sandra Gräfenstein liest zur Zeit eher Fachbücher für das BWL-Fernstudium. Blogs liest sie nur, weil es dieses Blog gibt.

Treffen in der Bloggerlounge: Autoren und Blogger – eine zaghafte Liebe

In der Bloggerlounge der Leipziger Buchmesse trafen sich Nominierte und Ausgezeichnete des Preises der Leipziger Buchmesse mit Literaturbloggern. Beide Seiten verbindet die Leidenschaft für ihr Tun. Der Weg zueinander ist jedoch noch weit.

Erstmals hatte die Leipziger Buchmesse den 15 Nominierten des Preises der Leipziger Buchmesse jeweils einen Blogger als Pate zur Seite gestellt. Das Interesse auf Bloggerseite war groß, es kamen über 70 Bewerbungen. Leider wurde die Idee nicht zu Ende gedacht: Einige Nominierte offenbarten, sie hätten erst mit der Einladung zum Treffen in der Bloggerlounge von diesem Experiment der Buchmesse erfahren. Ein dicker roter Eintrag in das Aufgabenheft der Kommunikationsfachleute der Leipziger Buchmesse, aber auch der Verlage!

„Ich habe keinen Bock auf Twitter und Facebook. Da schwillt die Kommunikation doch nur an. Wirklichen Reichtum gibt es nur Face to Face.“ Autor Michael Wildenhain benennt deutlich sein Unbehagen. Er sei zwar viel im Netz unterwegs, lese aber selten Blogs. Seine Beobachtung: Dem ersten Enthusiasmus mit qualitätvollen Beiträgen folge fast überall mit zunehmender Zeit Ernüchterung und Ausdünnung. Jan Wagner, Preisträger in der Kategorie Belletristik (Verlosung eines signierten Exemplares hier) liest zwar selten Literaturblogs, hat aber immerhin mit seinem Bloggerpaten telefoniert. Philipp Ther, ausgezeichnet für sein kluges Geschichtswerk über das neoliberale Europa, bekennt, er müsse sich mit dieser „anderen Öffentlichkeit“ erst anfreunden. Bisher völlig ausgeschlossen von der Welt des Internets ist Mirjam Pressler, Preisträgerin für ihre Übersetzung von Amos Oz. Sie habe sich eine Homepage erstellen lassen, die aber nie angesehen. „Sind Blogger eigentlich untereinader vernetzt?“, fragt sie in die Runde und verspricht, künftig mal „hereinzuschnuppern“.

Ein Defizit also, das sich hier auf Autorenseite offenbart. Wie ist es zu bewerten? Führt es die Bemühungen der Leipziger Messe um die Einbindung der Blogger ad absurdum oder macht sie gar überflüssig? Ich denke, diese Lücke sollte eher Ansporn sein, den Gesprächsfaden zu intensivieren und neue Gesprächsformen zu suchen. Wie wäre es mit einer Blogger-Autoren-Runde, in der ausgesuchte Blogs live vorgestellt werden? Die Bloggerlounge mit einer verbesserten technischen Ausstattung wäre ein geeigneter Rahmen dafür.

Lesefreude teilen: Meine Buchverlosung zur Leipziger Buchmesse 2015

UPDATE 1. April 2015

Ich gratuliere den Gewinnern und danke allen für die Teilnahme. Ihr habt wunderbare Antworten gegeben, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Die Bücher gehen nach Ostern raus, die Adressen habe ich alle.

Jan Wagner geht an Cornelia Lotter
Beni Frenkel geht an AlaMinor
Zwei Bärinnen geht an WortParade Dorothee Bluhm
Blutfrieden 1815 geht an Harry Pfliegl
Das Amazon Schreibexperiment geht an astel90

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Ich möchte die wunderbaren Leseentdeckungen der Leipziger Buchmesse 2015 mit meinen Lesern teilen. Ich verlose je ein Exemplar von

  • Jan Wagner, Regentonnenvariationen (Hanser Berlin), Preis der Leipziger Buchmesse 2015, vom Autor signiert
  • Beni Frenkel, Gar nicht koscher. Vom täglichen Schlamassel, als Jude durchs Leben zu gehen (Klein & Aber Zürich), vom Autor signiert
  • Meir Shalev, Zwei Bärinnen (Diogenes), vom Autor signiert
  • Sabine Ebert, 1815 Blutfrieden (Droemer Knaur), mit signierter Bildkarte der Autorin
  • 24 Stunden 24 Autoren, ein Schreibexperiment von Amazon-Autoren

Wenn eines der Bücher bald in eurem Regal stehen soll, sagt mir bis zum 31. März 2015: Warum ist Lesen für euch wichtig? Wer die Leipziger Buchmesse besucht hat, kann gern noch seine Meinung dazu sagen: Wie habt ihr die Messe in diesem Jahr erlebt? Und gebt bitte auch euer Wunschbuch an. Notwendiger Hinweis: Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Erfolg und viel Spaß beim Lesen!

Hallo, Bernd Merbitz: Der Polizeipräsident plant schon den nächsten Coup

Leipziger Buchmesse 12. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (54)Irgendetwas gibt es immer über ihn zu berichten: Polizeiposten in der Eisenbahnstraße und in Connewitz, LEDIDA-Demonstrationen oder SED-Vergangenheit. Nur wenige wissen, dass Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz 2009 für sein Engagement gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde. Er hat entscheidenden Anteil daran, dass der 100. Deutsche Katholikentag 2016 nach Leipzig kommt. Und auch Mord gehört zu seiner Vergangenheit: Merbitz leitete vor der Wende in Leipzig die Morduntersuchungskommission bei der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei. Fast 25 Jahre später schreibt er für eine Krimianthologie einen spektakulären Fall auf – und kündigt gleich eine Fortsetzung an.

Quelle: fhl-verlag.de

Quelle: fhl-verlag.de

„Stammtischmorde“, die Anthologie des Leipziger Krimistammtisches, erscheint jetzt im dritten Band. Herausgeber Hartwig Hochstein konnte Bernd Merbitz als Gastautor gewinnen, nachdem Erich Loest den ersten Band bereichert hatte. „Wirklich alles selbst geschrieben“, versichert Merbitz, „und das war gar nicht so einfach.“ So entstand ein „Wiedervereinigungskrimi“, der sich 1991 als Vermißtensache zutrug und die erste erfolgreiche Ost-West-Zusammenarbeit zwischen der von Merbitz geleiteten Morduntersuchungskommission Leipzig und der Polizeibehörde in Gronau markiert.

Hartwig Hochstein, bis Ende 2003 Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung und selbst mit einem Beitrag in der Anthologie vertreten, bescheinigt dem prominenten Gastautor „Talent“. Bernd Merbitz zeigt mir eine Akte aus dem Archiv der Kriminalpolizei, das Futter für seine kommende Schreibidee. Merbitz will Leipziger Kriminalfälle aus fast 50 Jahren aufbereiten und nacherzählen. Man darf gespannt sein.

Foto Bernd Merbitz: Detlef Plaisier

Hallo, Waldtraut Lewin: „Ich bleibe hier, denn Juden gehören nach Europa“

Fast fast jedes ihrer Lebensjahre hat Waldtraut Levin ein Buch veröffentlicht. Stolze 70 sind es mittlerweile. Jetzt wagt sich die Autorin an Anne Frank. Sie entstaubt die Ikone und versetzt das jüdische Mädchen in die heutige Zeit mit Diskothek und Hakenkreuz-Schmierereien. Waldtraut Lewin nennt es behutsam „eine Annäherung“.

Leipziger Buchmesse 13. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (9)Ausgewiesene Kennerin des Judentums durch ihr umfassendes Werk „Der Wind trägt die Worte“, erfuhr Waldtraut Lewin erst mit 13 Jahren durch ihre Mutter von ihren jüdischen Wurzeln. „Ich habe das sofort angenommen.“ 1956, mit 19 Jahren, sah sie im Berliner Schloßpark Theater eine Aufführung vom „Tagebuch der Anne Frank“ mit der jungen Johanna von Koczian in der Titelrolle. „Das Theater stand in Tränen“, erinnert sich Waldtraut Lewin. Der Funke war entfacht. Heute haben Millionen von Menschen in aller Welt das bewegende Tagebuch gelesen. „Anne Frank war fast noch ein Kind“, erklärt Autorin Lewin den Hype um Anne Frank. „Viele Passagen treffen auch heute noch das Lebensgefühl junger Menschen. Vor allem war es ein Einzelschicksal, das zur Identifikation taugt.“

Ja, das Buch von Waldtraut Lewin ist eine Liebeserklärung. „Ich spiele mit Anne Frank, natürlich mit großem Respekt.“ Spiel, das heißt: Anne verläßt das Versteck in der Prinsengracht und hat zeitversetzt 70 Jahre später die Chance, ihre Jugend zu leben. Am Ende kehrt Anne nach Israel zurück. „Vielleicht kann man ein kleines bisschen etwas bewirken. Dass nicht geschossen wird, zum Beispiel. Dass man sich näher kommt.“ So erfüllt Waldtraut Lewin das Vermächtnis von Anne Frank aus ihrem Tagebuch, wo es heißt: „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.“

Waldtraut Lewin blieb das Schicksal von Anne Frank durch einen mutigen und vermögenden Großvater erspart, der als Jude in der deutschen Gesellschaft angepasst lebte und für die Familie mit Bestechung einen gefälschten Ariernachweis kaufte. Den aktuellen Aufruf der israelischen Politik, die Juden Europas mögen in das gelobte Land zurückkehren, hält Waldtraut Lewin für ein Deckmäntelchen zum Bau neuer Siedlungen. „Juden sollten sich nicht aus Europa vertreiben lassen, nur weil ein paar verrückte Typen mal wieder hetzen. Juden gehören seit Jahrhunderten nach Europa. Ich bleibe hier.“

Foto von Waldtraut Lewin in der LVZ-Autorenarena: Detlef Plaisier

Hallo, Carlo Strenger: „Israel braucht einen neuen Premier“

1958 in eine streng jüdisch-orthodoxe Familie in der Schweiz hineingeboren, lehrt Carlo Strenger heute als Professor der Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv. In seinem neuen Buch „Israel – eine Einführung in ein schwieriges Land“ legt er seine Wahlheimat auf die Couch und kommt zu dem Ergebnis: „Manchmal frage ich mich, wie dieser Staat überhaupt funktioniert.“

Leipziger Buchmesse 12. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (102)Strenger analysiert nicht nur theoretisch, er mischt sich ein: 2003 verstärkte er das Kompetenzteam der Arbeitspartei zur israelischen Parlamentswahl. Strengers aktuelle Analyse ist schonungslos: Das Verhältnis zwischen Israel und Europa sei „objektiv furchtbar“. Israel geriere sich einerseits als Vertreter einer liberalen Demokratie nach westlichem Vorbild und betreibe andererseits eine repressive Siedlungspolitik. Seit sechs Jahren trage Ministerpräsident Netanjahu die Shoah zu allen unmöglichen Situationen anklagend wie einen Schild vor sich her. Klare Ansage: „Es wird Zeit für einen neuen Premier.“

Carlo Strenger tischt unbequeme Wahrheiten auf: „Die Verletzungen von Menschenrechten in Russland, China, dem Iran und Serbien stellen alles in den Schatten, was Israel je getan hat. Aber niemand bestreitet ernsthaft das Existenzrecht dieser Staaten.“ Das Ziel der Staatsgründung Israels habe sich in das Gegenteil verkehrt: „Israel ist der Jude unter den Ländern geblieben, der einzige Staat mit ständiger Existenzgefährdung.“ Und dennoch: Im aktuellen Wahlkampf tauche das Wort FRIEDEN nicht auf. Wer als Partei davon spreche, werde als „psychiatrisch gestört“ und realitätsfern abgestempelt.

Es sei legitim, so Carlo Strenger, Israel für seine Siedlungspolitik zu kritisieren. Dies dürfe aber nie dazu führen, Israel als Land selbst in Frage zu stellen. Ein versöhnlichen Lichtblick sieht Carlo Strenger nicht: „In den nächsten Jahrzehnten wird sich der Nahe Osten in ein furchtbares Chaos verwandeln.“ 

Foto Carlo Strenger: Detlef M. Plaisier

Oliver Zille in der Bloggerlounge: Der Technokrat mit Bloggerherz

Er kommt verspätet und wirkt gehetzt, und auch die Technik will nicht funktionieren. Buchmesse-Direktor Oliver Zille ist in der Bloggerlounge angekündigt für ein Gespräch mit den akkreditierten Bloggern. Aus dem Gespräch wird ein Monolog, gewürzt mit drei Zwischenfragen, gedrängt auf zwölf Minuten. Zu fremd sind sich beide Seiten. Aufschlussreich ist es dennoch.

 

Bloggerlounge Leipziger Buchmesse 13. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (40)„Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Blogger, vor allen, die versuchen, den großen Literaturmarkt mit jährlich 80.000 Titeln zu vermitteln.“ Guter Einstieg, doch es lohnt sich, genauer hinzuhören. „Unser Job als Messe ist es, die Vermittlung von Literatur zu organisieren. Es war an der Zeit, den Bloggern auf der Buchmesse einen eigenen Arbeitsort einzurichten und ihre Arbeit für Leser und Verlage sichtbar zu machen. Wir stellen die Lounge als neutrale Plattform hin, und jeder Verlag hat ganz individuelle Strategien, wie er mit Bloggern zusammenarbeitet. Und ja, es ist erstmal ein Experiment. Sagen Sie uns als Blogger, was Sie brauchen.“

An anderer Stelle spricht Zille davon, es gehe um neue Wege, „wie wir bestimmte Botschaften oder bestimmte Inhalte an die Öffentlichkeit bringen“. Dafür sei die Aktion Bloggerpaten „ein probates Mittel“. Eine Vorlage für heftige Reaktionen, so wie für den Bloggerpaten Thomas Hummitzsch auf seiner Seite intellectures.de, wo er rückblickend bitter resümiert, er habe sich „in naiver Pose kaufen lassen“.

Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich halte es eher für naiv, für Blogger den Status einer geschützten Spezies zu reklamieren und die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Messe auszublenden. Es geht hier um eine Annäherung, ein Kennenlernen und Ausloten, wozu auch Irrwege und Missverständnisse auf beiden Seiten gehören. Ich gebe zu: Es ist nicht einfach, Oliver Zille auf den ersten Blick ins Herz zu schließen. Sein Herz für Blogger schlägt jedoch laut hörbar. Im eigenen Interesse sollten Literaturblogger, ob bisher auf der Buchmesse akkreditiert oder nicht, ihre Bedürfnisse äußern. Annäherung braucht Geduld. „Auch wir müssen noch lernen, bei Bloggern Strukturen und Qualitäten zu erkennen“, gesteht Oliver Zille ein. Selbst einen Preis der Leipziger Buchmesse für Literaturblogger habe man „scharf im Blick“. Sollte das nicht Ermutigung genug sein für einen offenen Dialog?

Privat liest Oliver Zille übrigens keine Blogs, um sich Anregungen für neue Lektüre zu holen. „Schenken Sie mir nie Bücher. Ich traue niemandem zu, meinen literarischen Geschmack einzuschätzen. Als Leser ist es mir komplett schnurz, was andere über Bücher denken. Ich lese lieber ein Buch als eine Rezension über ein Buch, denn Lebenszeit ist knapp.“

Foto Bloggerlounge: Detlef M. Plaisier