„Ich habe Baku kaum wiedererkannt“

Ich habe die Schriftstellerin Olga Grjasnowa auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse kennengelernt. In diesen Tagen besucht sie ihre Heimatstadt Baku zum Eurovisions-Finale. Hier schildert sie ihre Eindrücke.

Nicht immer nur dasselbe. Die Leipziger Buchmesse 2012

Ursprünglich veröffentlicht auf Hedoniker:

Ich habe vorab mal meine alten Buchmesseeinträge quergelesen und festgestellt, dass ich oft dasselbe schreibe. Deshalb erzähle ich in diesem Jahr ausdrücklich nicht, dass Walde & Graf wieder mal unglaublich schöne Bücher präsentiert hat und ich erwähne erst recht nicht, dass ich mich besonders auf die Lektüre von Chester Browns “Ich bezahle für Sex – Aufzeichnungen eines Freiers” freue. Und auch auf das “ABC der Lähmungen. Ein Kneipenroman”, der in einer hannoverschen Altstadtkneipe spielt. Nach den vergangenen Messen hätte ich vermutlich auch noch auf die tolle Schuberausgabe dreier Tarzanromane hingewiesen, mach ich aber in diesem Jahr nicht.

Auch Voland & Quist erwähnte ich eigentlich immer, das spare ich mir ebenfalls, ihr müsst halt selber rausfinden, dass die grad eine tolle Graphic Novel namens “Alois Nebel” im Programm haben.

"Ich habe heute leider kein Känguru für dich." Marc-Uwe Kling und der verschwommene Sebastian Wolter von Voland&Quist.“Ich habe heute leider kein Känguru für dich.” Marc-Uwe Kling und Sebastian Wolter von Voland&Quist (Sebastian traf ich am Abend zuvor…

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Letzter Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Heute ist Großkampftag. Die Buchmesse wird friedlich überfallen von Anime- und Mangafans. Fotos der phantasievollsten Kostüme habe ich hier zusammengestellt.

Bevor es in die Hallen geht, stoppe ich noch am Stand von 3sat. Ab 16. April veranstaltet 3sat eine Themenwoche „Hauptsache Fortschritt?“. Zuschauer konnten über die 20 größten Fortschritt-Flops abstimmen, darunter Atomkraft, Roboter und Sommerzeit. Ich bin auf das Ergebnis gespannt – also einschalten!

Der Tag beginnt dann entspannt im Österreich-Kaffeehaus (Halle 4, E 206) mit Wiener Melange und Croissant (EUR 5). Die Oase im Messetrubel hätte ich gern früher entdeckt. Zum Kaffee stellt Eric Adler sein neues Buch „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“ vor.

Der österreichische Trainer und Autor beklagt das Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft und einen eklatenten Mangel an Sozialkompetenz. Die Ursachen benennt Adler klar und schonungslos: Menschen könnten nicht mehr miteinander reden. Die Weitergabe sozialer Kompetenzen an die jeweils nachfolgende Generation sei nahezu gestoppt, das Modell des offenen Generationenhauses habe ausgedient. Einzelkinder offenbarten einen erschreckenden Mangel an sozialer Verantwortung und Kompetenz. So sei es einfach uncool, sich mit Behinderten zu beschäftigen. Und auch den Medien hält Adler einen Spiegel vor: Wer irreführende Rollenmodelle immer wieder herausstelle, die den Lügner und Kriminellen als Erfolgsfaktor präsentieren, der sei für den Mangel an Sozialkompetenz mitverantwortlich.

Sozialkompetenz definiert Adler überraschend simpel als „die Fähigkeit, mit sich und seinem Umfeld zurecht zu kommen“. Und das, so Adler, könne man messbar und nachhaltig lernen, wenn man mental dazu bereit sei. „Das kostet Zeit, Nerven und auch Geld“, warnt Adler allzu schnell Begeisterte. Ein mal eben eingestreutes Wochenendseminar reiche da nicht aus. „Und so mancher wird dabei Dinge entdecken, die er eigentlich gar nicht von sich wissen wollte.“ Adler begleitet seit vielen Jahren Unternehmen und ihre Mitarbeiter erfolgreich auf diesem Weg. Zusätzlich hat er eine Initiative ins Leben gerufen, um Sozialkompetenz als fächerübergreifenden Unterrichtsgegenstand an Schulen zu fördern. In Leipzig ist das Institut Gräske Bildungspartner der Adler Social Coaching® Methode.

Im privaten Gespräch gibt mir Eric Adler einen Tipp für meinen Alltag: „Betrachten Sie einfach die täglichen kleinen Quälgeister als kostenlose Sparringspartner“. Wenn jemand schlecht über mich redet, mich rhetorisch herausfordert oder Aggressionen zeigt, sei dies eine prima Übungseinheit für meine eigene Sozialkompetenz. „Seien Sie dem Gegenüber dankbar – und genießen Sie dann Ihren Erfolg genauso wie einen Gang ins Fitnessstudio“.

(Eric Adler, „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“, Econ Verlag, ISBN: 978-3430201292, Link zu Amazon hier)

Im vergangenen Jahr hatte ich die Premierenlesung des EPIDU-Verlages journalistisch begleitet. Auch dieses Jahr lud der Aachener Verlag wieder zu einer Lesung in das Restaurant Stein ein und stellte die neuen Verlagsautoren vor. Vor leider sehr übersichtlicher Kulisse lasen am zweiten Messetag Eva Manuela Jungmann und David Michael Rohlmann Proben aus ihren Debutwerken. Zusätzlich wurden mit einer aus dem Englischen übersetzten Anthologie von Schriftstellern aus Hong Kong und einer Sammlung von Werken indischer Frauen zwei ausländische Akzente im Programm von EPIDU gesetzt.

Im Gespräch zeigte sich Geschäftsführer Thanh Cao Nguyen sehr zufrieden mit der Entwicklung des letzten Jahres. Das Konzept des Lektorentisches, wodurch die EPIDU-Community direkt Einfluss auf die publizierten Werke nimmt, habe sich bewährt. Große Verlage schauten zunehmend auf das interne EPIDU-Ranking und forderten die Manuskripte der Autoren an. Auch das innovative Modell der E-Book-Cards gehe jetzt in eine neue Phase. Ein Testverkauf in fünf Buchhandlungen soll dem bundesweiten Vertrieb vorgeschaltet werden. Als Partner konnten bereits unter anderem Klett-Cotta, Bastei Lübbe, Herder und Carl Hanser gewonnen werden.

Und jetzt hinaus in die wunderbare Leipziger Frühjahrssonne! Am Abend rundete eine Tandemlesung der Leipziger Autoren Karsten Kruschel und Sina Hawk meine positive Bilanz der Leipziger Buchmesse 2012 ab.

Ich bin sehr dankbar für viele menschliche Begegnungen in den vier Tagen der Buchmesse. Manche haben mich lächeln lassen, andere hinterließen mich nachdenklich. Ich freue mich jetzt auf viele Leseerlebnisse und Rezensionen.

Wir sehen uns auf der Leipziger Buchmesse 2013 vom 14.-17. März!

Harald Glööckler: Der Leipziger Hofstaat huldigt dem Prinzen

Um 12 Uhr trafen die ersten Schaulustigen am Messestand des Printsystem Medienverlages in Halle 3 ein. Um 13:30 sind die Gänge verstopft. Unwissende sehen eine Absperrung, eine Krone und einen Thron. Wer geduldig wartet, will ihm huldigen: Leipzig erwartet auf der Buchmesse Seine Majestät, The Prince of Pompöös Harald Glööckler. Um 14:00 ist dann alles dicht. Wenige Männer stehen unter den Wartenden, und der jüngste unter ihnen legt noch vor dem großen Moment eine Ohnmacht hin. Bis zum Eintreffen der Sanitäter versorgt ihn das Standpersonal mit Wasser und Toblerone.

Und dann, kurz nach 15:00, nach drei Stunden des Wartens für die ersten Treuen, ist er da, und alles ist wie bei Hofe: Glööckler does his best queen wave, das Publikum applaudiert. Eine Frau hat ein Tamburin mitgebracht, und immer wieder branden „Harald, Harald“-Rufe auf. Hände strecken sich dem Herrscher entgegen, und er klatscht sie ab und schüttelt sie. Es ist eine Mischung aus Staatsbesuch und Popkonzert. Allein der Blick auf den Herrscher macht schon glücklich, und eine signierte Autogrammkarte ist wie ein Millionengewinn bei Jauch. Dabei gibt es sein Buch „Jede Frau ist eine Prinzessin“, das heute als Weltpremiere zelebriert wird, nicht mal am Stand zu kaufen. Es kommt erst nach dem Wochenende in den Handel, einige wenige Glückliche haben schon ein Besprechungsexemplar (Danke!). Während Glööckler Hof hält, erfährt er, dass der FOCUS sein Buch zum schönsten Buch der Buchmesse gekürt hat.

Ich mag Menschen, die sich inszenieren. Und den Glööckler ab heute ganz besonders. Die signierte Karte für meine Sandra trage ich auf dem Heimweg wie einen Staatsschatz vor mir her. Ich würde sie mit meinem Leben verteidigen.

Hier mein Interview mit Harald Glööckler im Wortlaut:

?  Herr Glööckler, Sie versprechen jeder Frau, dass Sie eine Prinzessin sein kann. Ist das nicht ein bisschen …

!  (unterbricht) … sie sind, sie sind! Gehen Sie mal hin und legen Sie sich mit den Damen an und sagen Sie, sie wären es nicht. Dann kommen Sie hier nicht lebend raus!

?  Gibt es in anderen Ländern ein anderes Prinzessinnen-Bewusstsein?

!  Nein, in Amerika ist das genauso. Die wollen mich ja haben, weil sie alle sagen, sie sind auch Prinzessinnen. Die Prinzessin ist ja ein Stück Metapher für einen Traum aus der Kindheit. Jedes Mädchen möchte einmal Prinzessin sein. Sie möchte schön sein und nicht das Aschenputtel, und sie möchte auf den Ball gehen mit einem schönen Prinzen. Die meisten haben dann das mit dem Prinzen schon aufgegeben und sagen sich, dann probieren wir es mal mit dem Glööckler und der Prinzessin. Der Prinz ist nicht gekommen, deshalb können wir trotzdem noch Prinzessin werden.

?  Kann auch jeder ein Prinz sein?

!  Es kann auch jeder Prinz sein. Aber Prinzen sind Frösche, und die muss man küssen und dann an die Wand werfen. Das Problem: Die meisten Frauen küssen sie zwar, werfen sie dann aber nicht an die Wand. In der Tat: Es gibt auch viele Prinzen, und ich bin überrascht, wie viele Männer jetzt stark in den Vordergrund kommen und fragen, wann gibt es das Buch für uns – wir wollen ein Prinzenbuch!

?  Was erwartet uns demnächst aus den USA? *

Zwischen den Anwälten laufen jetzt konkrete vertragliche Gespräche. Es gibt verschiedene große Angebote von Firmen sowie für Reality Shows und für eigene Shows im amerikanischen Fernsehen. Die große Attention für mich in den USA ist ungewöhnlich, weil der Weg ja meist umgekehrt ist, dass wir etwas aus den USA holen. Die Amerikaner finden mich ganz toll, vor allem meine Idee des Luxus für die breite Masse und jede Frau zur Prinzessin zu machen.

?  Herr Glööckler, vielen Dank für das Gespräch.

!  Ich danke Ihnen.

* Anfang März 2012 ist Harald Glööckler nach Los Angeles geflogen, um dort mit Produzenten großer TV-Sender über einen Sprung nach Hollywood zu verhandeln. Er residierte im Beverly Hills Hotel, dem Hotel der Stars.

Interview: Detlef M. Plaisier

Zweiter Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Los geht’s in einen sonnigen Frühlingstag!

Mein Tag beginnt auf dem „Blauen Sofa“ in der schon früh überhitzten Glashalle – nein, nicht darauf, (leider) nur davor. Angekündigt ist Olga Grjasnowa mit ihrem Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Vorher lerne ich eine ältere Dame aus Bottrop-Kirchhellen kennen. Sie erzählt mir begeistert von ihrer Arbeit in einer evangelischen Bücherei, wo sie auch die Bücher einkaufen darf – allerdings nicht alles. Bei bestimmten Themen habe das Grenzen – zu ihrem Verdruß: „Ich bin nicht mehr jung, aber schmerzfrei.“ Um die Leser zu begeistern, verfasst die Dame eigene kleine Rezensionen, die sie in einer Kladde liebevoll zusammenfasst. Ich darf hineinschauen – und ich bin begeistert! Die würde ich glatt hier einstellen! Und weil der lesebegeisterten Dame Leipzig so gut gefällt, hat sie mit ihrer kleinen Reisegruppe (ausschließlich Damen) schon bis 2014 die Buchmesse im Motel One an der Nikolaikirche gebucht.

Und das war’s auch schon, was zu den 30 Minuten mit Olga Grjasnowa zu berichten ist. Die Moderation von Barbara Wahlster kippte mit zunehmender Länge in peinliche Verlegenheit. Schade drum, dass die menschliche Seite von Olga Grjasnowa so gänzlich auf der Strecke blieb (Rezension folgt).

Wie schon gestern, nutze ich den frühen Vormittag zu Besuchen bei ausländischen Ständen. 2012 ist die Ukraine gemeinsam mit Polen Ausrichter der Fussball-EM. Grund genug, einmal auf dem Stand der Ukraine vorbeizuschauen. Ich treffe Lidia Lykhach von RODOVID Press (Halle 4 / E 503). Sie ist im ersten Jahr in Leipzig und besucht sonst die Frankfurter Buchmesse. Ja, es gebe große Unterschiede: „Hier wollen die Menschen über Bücher reden. In Frankfurt geht es nur ums Verkaufen.“ Viele Deutsche, so ihr Eindruck, kennen die Ukraine aus dem Urlaub und beklagten in diesem Jahr die hohen Hotelpreise zur Fussball-EM. Die Bücher am Stand werden nach der Buchmesse an die Deutsche Nationalbibliothek und an Leipziger Bibliotheken übergeben.

Überraschend treffe ich auf einen Stand „Arabischer Frühling“. Er wird betreut von zwei jungen Männern aus Syrien, die beide schon mehrere Jahre in Deutschland leben. Auf dem Stand wird über die Freiheitsbestrebungen in der arabischen Welt mit Schwerpunkt Syrien informiert. Dort, so die beiden Männer, finde zurzeit die einzige wirkliche Revolution im arabischen Raum statt. Als Material gibt es Bücher, Zeitschriften und CDs, die überwiegend von Studenten in Deutschland hergestellt werden. Das Interesse sei „groß“, berichten beide erfreut.

Wer Lesen lieben lernen will, muss früh gefördert werden. Dafür gibt es zahlreiche Bestrebungen von Institutionen. Eine der attraktivsten, obwohl erst im vierten Jahr, ist die Aktion „Lesekünstler des Jahres“. Ziel der Initiative des Börservereins ist es, eine Empfehlung für besonders gute Autorenlesungen an Buchhandlungen und Schulen zu geben und gleichzeitig auf Sortimenter einzuwirken, verstärkt Veranstaltungen zur Leseförderung anzubieten.

Lesekünstler des Jahres 2012 ist Ingo Siegner aus Hannover (Grüße in meine Heimatstadt!), bekannt geworden durch seine Figur „Der kleine Drache Kokosnuss“. Der Autor und Illustrator geht etwa zwei Monate im Jahr auf Lesereise. Erstaunlich, wo doch im elterlichen Haushalt kaum Bücher vorhanden waren und der Weg immer zum belesenen Kumpel führte.

Siegner, Jahrgang 1965, überzeugte die Jury durch seine besondere Fähigkeit, sich auf kleine Zuhörer einzustellen. „Seine Lesungen sind lebendiges Kino“, so die Jury-Vorsitzende Irmgard Clausen. Davon konnten sich die Zuhörer bei der Preisverleihung dann selbst überzeugen. Siegner las vor, erzählte, zeichnete und begeisterte jeden erwachsenen Zuhörer. Als Preis erhielt er einen Strickschal, gefertigt von 12 Kindern eines Leseklubs aus einer Grundschule in  Wermelskirchen. Die Zeichnung, die während der Lesung spontan entstanden war, sicherte sich eine Zuhörerin für eine Bibliothek in Südtirol.

Täglich zur Mittagszeit um 13:00 gibt Wolfgang Tischer, Herausgeber von literaturcafe.de, im Forum leipzig.liest.digital (Halle 5, B 600) Autoren gezielte Tipps für ihre Arbeit. Heute berät er zum Umgang mit Journalisten. Seine Tipps, punktgenau und schonungslos ehrlich, hier zusammengefasst:

Wenden Sie sich nicht wahllos an Medien. Recherchieren Sie genau, welches Medium für Ihr Genre und Ihr Anliegen passt.

Jeder Autor sollte in einem Satz sagen können, wer er ist und was er schreibt.

Eröffnen Sie keine Nebenkriegsschauplätze. Konzentrieren Sie sich auf Ihr Kerngeschäft, das Sie beherrschen.

Seien Sie nicht überrascht oder enttäuscht, wenn der Journalist Ihr Buch nicht gelesen hat. Fragen Sie ihn offen danach. Das nimmt beiden Seiten die Spannung.

Sorgen Sie schon vor dem Gespräch dafür, dass ausreichend positive Informationen im Netz über Sie bereit stehen.

Reagieren Sie geduldig auf Standardfragen, die Sie schon hundertmal beantwortet haben.

Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es doch nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Nutzen Sie den gewonnenen Kontakt für Ihr weiteres Marketing.

In der LVZ-Autorenarena (Halle 5 / A 100) treffe ich Andrea Maria Schenkel. Sie hat nach ihrem Sensationserfolg „Tannöd“ mit „Finsterau“ wieder einen Kriminalfall aus dem hintersten Winkel des Bayrischen Waldes vorgelegt; diesmal nur ein schmales Bändchen von gerade mal 125 Seiten. „Ich packe am Anfang viel rein, blähe es richtig auf, und dann reduziere ich“, erklärt sie dazu.  Die ursprünglichen Versionen werden zur Arbeitserleichterung aufbewahrt, so dass es auf dem Arbeitscomputer viele Finsteraus gibt.

In „Finsterau“ zeigt Andrea Maria Schenkel ihre Sprachgewalt auf ganz besondere Weise: Sie entreißt Wörter dem drohenden Vergessen, die ihre Großmutter verwendet hatte und die nun selbst im abgeschlossenen Sprach- und Kulturraum des Bayrischen Waldes mehr und mehr verschwinden. „Ich habe nun mal Spaß am Klang“, sagt die Autorin, „und zu einer authentischen Sprache meiner Figuren gehören auch deren ganz eigene Worte“. Dafür liest sich Andrea Maria Schenkel die geschriebenen Sätze wieder und wieder laut vor, „denn nur so kann ich erkennen, ob ein Text hohl ist oder stimmig.“ (Rezension folgt)

Der Tagesabschluss in den Hallen lässt mich auf der Heimfahrt noch lange nachdenklich zurück. Henryk M. Broder stellt sein neues Buch „Vergesst Auschwitz!“ vor. Die 30 Minuten in der LVZ-Autorenarena reichen für einen Sack voll Provokationen und ungeschminkter Wahrheiten, die Broder in den letzten Jahren schon so viele Anfeindungen eingebracht haben. Seine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sei eine „lebenslange Obsession“, gesteht Broder ein, und er schreibe darüber, „weil ich mir selbst etwas klar machen will, nicht um die Welt zu verändern“.  Das überlasse er gerne anderen „von Willemsen bis Walser“.

Der klassische Antisemitismus, so Broder, sei heute kaum noch verbreitet. Das neue Gewand zeige sich nicht gegenüber den Juden, sondern gegenüber dem Staat Israel. So bleibe Antisemitismus „ein dauernder Karneval“. Auschwitz als Ort des Gedenkens sei zu einem „Rummelplatz verkommen“, an dem man neben den Gaskammern seine Stullen auspacke. „Einfach grauenhaft“.

Der Blick nach Deutschland lässt Broder ratlos zurück. Da erhält der türkische Ministerpräsident Erdogan den Steiger-Award für Toleranz, und Exkanzler „Gazprom- Schröder“ trete als Laudator auf.  Da poste SPD-Chef Gabriel über Facebook bei einem Besuch in Hebron, Israel sei ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gebe. „Hätte ich nicht schon längst aufgehört, SPD zu wählen, das wäre der letzte Grund“, so Broder. Inzwischen wähle er als Bayer CSU.

Ein Tag mit vielen spannenden Begegnungen, für den ich sehr dankbar bin.

Die abendliche Lesung des EPIDU-Verlages wird zusammen mit News zur Entwicklung des Verlages am Sonntag besprochen.

(Alle Fotos: Detlef M. Plaisier)

Erster Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Auf gehts mit neuen Schuhen und neuer Arbeitstasche in knallorange zum ersten Messetag. Der beginnt mit einem Ärgernis: Presse und Fachbesucher dürfen erst ab 10:00 die Hallen betreten. In den letzten Jahren war 09:30 üblich. Auf telefonische Anfrage erklärt mir die Pressestelle der Leipziger Messe, da es zu „vermehrtem Bücherklau“ gekommen sei, habe man nun einen generellen Einlass auf 10:00 festgelegt. Auf meinen Einwand, dies doch bitte auch an Betroffene zu kommunizieren, zieht man sich auf die Website der Leipziger Buchmesse zurück. Die sei „ein Aushängeschild der Marke Leipziger Messe“ und bitte auch zu beachten.

Mein Messetag beginnt mit einem Rundgang bei Botschaften ausländischer Ausstellernationen. Auch in diesem Jahr ist das US-Generalkonsulat Leipzig wieder mit einem Stand vertreten (Halle 4, E 301). Pressereferentin Melanie Duong zeigt mir Bücher amerikanischer Verlage und Fachbücher, die nach der Buchmesse an mitteldeutsche Bibliotheken geschickt werden. Die Palette geht von Politik über fiction und nonfiction bis zu Kinderbüchern, Jobs und Zuckerberg. Auf dem Stand kann man sich auch zu den Themen Schüleraustausch und Praktika in den USA beraten lassen.  Das Generalkonsulat bietet im Rahmen von „Leipzig liest“ 21 Veranstaltungen an. Schöner Gag: Wer mag, kann sich mit Pappkamerad Obama fotografieren lassen und das Foto dann auf der Facebook-Präsenz des Konsulats sehen.

Wand an Wand informiert die China Book Trading GmbH über das Land der Mitte. Generaldirektor Genrui Zhang erzählt mir, viele Bücher seien auf Deutsch, einige in englischer Sprache. So könne man die chinesische Sprache lernen und sich über chinesische Kultur und Naturheilverfahren informieren. Einige der Bücher sind an den letzten beiden Messetagen auch käuflich zu erwerben. Als  Giveaway freue ich mich, wie schon im letzten Jahr, über einen Tischkalender mit chinesischen Tierkreiszeichen, der 2012 im Zeichen des Drachen steht.

In der nächsten Halle stoße ich auf einen anderen Aspekt Chinas: Charlotte Wagner verkauft als „Bildorchester“ Bildpostkarten mit eigenen Fotografien aus China (Halle 5, B 215). Es sind sehr persönliche Aufnahmen, abseits der Touristenpfade und einfühlsam. Wo die Aufnahmen im Land entstanden seien, wolle sie nicht sagen. Seit 2006 reist Charlotte Wagner regelmäßig nach China. Ihr Bild vom Land der Mitte habe sich seitdem sehr gewandelt, so wie es auch bei ihren Reisen in die USA der Fall war. Als ich mir 12 Karten aussuche, ist die Fotografin irritiert. Ich aber freue mich über eine ganz besondere Bereicherung meiner Postkartensammlung.

Mein  Highlight des Tages (alle anderen mögen mir verzeihen) gibt es schon mittags: In der LVZ-Autorenarena ( Halle 5, A 100) erzählen Egon Bahr und Peter Ensikat über ihr gemeinsames Buchprojekt „Gedächtnislücken“. Beide trennen 20 Jahre, und ja, es sei ruhig gesagt: Egon Bahr wird am letzten Tag der Buchmesse 90. Vor der ersten persönlichen Begegnung wussten beide schon voneinander: Ensikat kannte die Stimme von Egon Bahr aus dem RIAS („neben Onkel Tobias  aus dem Kinderfunk und Friedrich Luft, der Stimme der Kritik“), und Bahr bewunderte den Sprachjongleur Ensikat aus dem Kabarett „Die Distel“. Die halbe Stunde gerät zu einem vergnüglichen und informativen Streifzug durch die deutsche und internationale Geschichte. Bahr erinnert an die historische Rolle von Michail Gorbatschow im Abrüstungsprozess – und das Publikum applaudiert. Und Nixon, so plaudert Bahr, war ein „hervorragender Außenpolitiker, aber ein schlechter Charakter als Mensch“.

Mich hat dieser Auftritt sehr berührt. Ich werde nie die hemmungslosen Tränen von Egon Bahr beim Abschied von Willy Brandt in der SPD-Fraktion vergessen. Und ich denke dankbar an meine erste Begegnung mit Egon Bahr bei einer Diskussion mit Stefan Heym, Klaus Staeck und Gerhard Schröder im August 1989. Damals titelte ich „Auch die DDR wird sich verändern“. Egon Bahrs Vision von damals wurde schon weniger als drei Monate später durch den Mauerfall überholt: Auch 2010, so Bahr damals, würden noch zwei deutsche Staaten nebeneinander existieren.

Der nächste Termin ist ein Reinfall: Ich warte im Leipzig liest-Forum auf Mathias Gatza und seine Lesung aus „Augentäuscher“, erschienen im Graf Verlag. Der kommt nicht, und das Standpersonal in Gestalt einer sehr jungen Dame ist verunsichert und schweigt. Schade, wo doch das Rezensionsexemplar hier schon liegt.

Jetzt aber mal eben zum Mittag in die Buchhändler Lounge: Ein Paar Wiener, Kartoffelsalat und eine Automatenflasche 0,2 Cola für 6,90 Euro. Tipp: Wer nur 30 Minuten Zeit hat, sollte dort mittags nicht essen. Das Personal lächelt, ist aber komplett ungeschult und wäre bei der Slow Food-Bewegung besser aufgehoben.

Weiter geht’s zum Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Halle 5, Stand D 500b). Den kann man nicht verfehlen: Hier liegt der rote Teppich. Während der gesamten Buchmesse können dort interessierte Leser ihre Meinung zu der Frage abgeben „Wie gestalten wir die Zukunft des Buches?“. Die Antworten werden auf Puzzleteilen niedergeschrieben. Das gesamte Bild dient dann als Grundlage einer Session auf dem BuchCamp 2012, das am 5. und 6. Mai 2012 auf dem mediencampus frankfurt stattfindet.  Zum KickOff bei Kaffee und Leipziger Lärchen hob Steffen Meier von Ulmer online die Kreativität der BuchCampler hervor,  die Entwicklung des Buchmarktes mit frischen Impulsen voranzutreiben.

Zum Abschluss des Tages in den Messehallen gibt’s zwei Preisverleihungen. Noch zehn Minuten. Fünf. Drei. Zwei. Eins. 30 Sekunden. Der Countdown zum Preis der Leipziger Buchmesse ist ein Ritual. Ausgezeichnet wird je ein Preisträger in den Kategorien Übersetzung, Sachbuch/Essayistik und Belletristik. In diesem Jahr geht der Preis in der populärsten Kategorie Belletristik, für viele Beobachter erwartet, an „Sand“ von Wolfgang Herrndorf (bei Rowohlt Berlin). Die Jury hob hervor, dass der Leser Herrndorf in albtraumhafte Geschehnisse mit unvorstellbarer Leichtigkeit folge. Herrndorf sei ein „großer Erzähler“, der „allerbestens unterhalte“. Der Gewinner konnte aus gesundheitlichen Gründen bei der Preisverleihung nicht persönlich anwesend sein. Der Preis ist in jeder Kategorie mit 15.000 Euro dotiert.

Etwas intimer und in kleinerem Rahmen geht es bei der ersten Verleihung des Literaturpreises SERAPH zu, ausgelobt von der Phantastischen Akademie Mannheim. Beide Preisträger zeigten sich überrascht: Christian von Alster, Sieger in der Kategorie „Bestes Buch“ , sprach wortgewandt von einem „Irrtum“ – und freute sich sichtlich, ebenso wie Nina Maria Marewski, die für „Die Moldau im Schrank“ den mit 2.000 Euro dotierten Förderpreis als bester Debutant erhielt. Das Preisgeld wurde von den Stadtwerken Leipzig gestiftet und symbolisch durch einen großen Scheck von Frauke Riva, Leiterin Unternehmenskommunikation des Leipziger Energieversorgers, übergeben. Eine Rezension des Siegertextes erfolgt demnächst hier.

So, und das Abendprogramm fällt aus. Ich bin platt. Was verpasse ich? Die Lange Leipziger Lesenacht in der Moritzbastei. Und Paul Panzer in der Arena. Wir sehen uns morgen in den Hallen!

(Alle Fotos: Detlef M. Plaisier)

Leipziger Buchmesse 2012: Hier gehe ich hin

Mein Terminplan für die vier Messetage ist fast komplett. Natürlich kollidieren auch viele spannende Termine miteinander. Bei  Doppelbelegungen entscheide ich spontan, was ich mir anhöre. Vielleicht begegnen wir uns ja auf einer Veranstaltung – ich bin leicht zu erkennen: Der große Bär mit der knallorangen Umhängetasche ….

Donnerstag, 15. März

12:00  Egon Bahr, LVZ-Autorenarena, Halle 5 / A100

13:30  Lesung Mathias Gatza, Der Augentäuscher, Forum „Leipzig liest“, Halle 3 / E403

15:00  Kick-off zum BuchCamp 2012, Börsenverein des Dt. Buchhandels, Halle 5 / D500b

16:00  Preis der Leipziger Buchmesse, Glashalle

17:00  SERAPH-Preis, Fantasy-Leseinsel, Halle 2 / G305

19:00  Lesung Michael Stavarič (Wien), Telegraph, Dittrichring 18, EUR 5 / 3

anschließend Lange Lesenacht in der Moritzbastei, unter anderem mit Olga Grjasnowa (Oberkeller 22:15) und Katharina Bendixen (Schwalbennest 23:00), EUR 10 / 7

Freitag, 16.03.

10:30  Olga Grjasnowa auf dem Blauen Sofa, Glashalle

14:00  Preisverleihung „Lesekünstler des Jahres“, Forum „Leipzig liest“, Halle 4 / E101

16:30  Hans-Dietrich Genscher, LVZ-Autorenarena, Halle 5 / A100

17:00  Henryk M. Broder, LVZ-Autorenarena, Halle 5 / A100

19:00  Lesung von Autoren des EPIDU Verlages, Restaurant Stein, Am Bayrischen Platz / Windmühlenstraße 37, Eintritt frei

19:00  Lesung Eric Adler „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“, Ratskeller Leipzig

21:00  Myk Jung liest aus „Der Herr der Ohrringe“, Absintherie Sixtina, Katharinenstraße 11

Samstag, 17.03.

10:30  Heiner Geißler, LVZ-Autorenarena, Halle 5 / A100

12:00  Michael Schröder liest aus „131 Briefe“, Literaturcafé in Halle 4

15:00  Weltpremiere des Buches „Jede Frau ist eine Prinzessin“ mit Harald Glööckler, Printsystem Medienverlag, Halle 3 / G304 (nur auf Einladung)

20:00  Vorstellung der Biografie von André Heller, Zoo Leipzig, Gondwanaland, Abendkasse EUR 5

Sonntag, 18.03.

10:30  Lesung Eric Adler „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“, Wiener Kaffeehaus, Halle 4 / E 206

15:00  E-Book – wie geht das? Diskussionsrunde für Autoren, Forum autoren@leipzig, Halle 5 / B600

18:00  Lesung des Leipziger Autorenduos Sina Hawk und Karsten Kruschel, Telegraph, Dittrichring 18, EUR 5 / 3