Rezension: Meir Shalev, Zwei Bärinnen

Mit der ganzen Wucht des Alten Testaments
Abenteuerroman, Erzählung, Familiensaga, Krimi, dazu noch tiefe Einblicke in Beziehungen und Verstrickungen, Überlieferungen und Familiengeheimnisse einer alteingesessenen Familie in Israel: Mehr geht kaum. Und die karge Landschaft, die ebenso schroffen Bewohner und die Selbstverständlichkeit, mit der „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gelebt wird, ziehen den Leser völlig in den Bann. Meir Shalev schafft es, in einer Erzählung der Gegenwart die Atmosphäre und Wucht des Alten Testaments einzufangen, in der ein Gott aber nicht präsent ist.

Liebe und Verlust, Glück und Grauen, Geheimnisse und Sühne
Ruta Tavori erzählt einer Interviewerin, die eine Forschungsarbeit schreibt, ihr gesamtes Leben. Dabei folgt sie keiner anderen Reihenfolge als der, die sie selbst wählt, setzt Schwerpunkte und Tempo mehr als eigenwillig. Im Mittelpunkt steht Großvater Seev aus Galiläa, ein knorriger Kerl mit Augenklappe, der schreckliche Geheimnisse verbirgt. Eines Tages geht er, um eine neue Siedlung zu gründen, woraufhin ihm sein Vater das Nötigste mit einem Wagen schickt: „… den ein mächtiger Ochse zog, so hieß es immer, ein mächtiger Ochse“, und der brachte „ein Gewehr, eine Kuh, einen Baum und eine Frau mit.“ Diese wichtige Reihenfolge, über die Jahre tradiert, setzt ganz klare Prioritäten.

Im Mittelpunkt stehen auch drei Selbstmorde im Jahr 1930, von denen alle Dorfbewohner wissen, dass nur zwei der Bauern tatsächlich selbst Hand an sich gelegt haben. Ruta enthüllt im Laufe der Erzählung die Hintergründe und Zusammenhänge hinter diesem Mord, sie zeigt: alle Beteiligten sind Täter und Opfer zugleich; 1930 ebenso, wie in Rutas Gegenwart. Der Leser macht atemlos alle Sprünge mit, ist an beiden Erzählsträngen gleichermaßen interessiert und verfolgt mit Spannung und steigendem Entsetzen, dass Vergangenheit und Gegenwart, das Leben des Großvaters und das Leben der Enkelin Ruta mit starken Fäden verknüpft sind, die einem Jahrtausende alten Webmuster folgen und sich nicht durchtrennen lassen. Doch wenn das Erzählen aller Geschichten auch Therapie ist, stellt Ruta am Ende der Geschichte fest: „Wie Großvater Seev mag auch er es nicht, wenn man zu viel über bestimmte Taten und bestimmte Zeiten redet. Ich verstummte. Erinnerte mich: Ich bin auch so.“

Mein Fazit
Ein außergewöhnliches Buch mit außergewöhnlichem Erzählstil. Ich hatte sehr schnell das Gefühl, dass Ruta ihre Geschichte nur für mich allein erzählt. Ein Buch, das Bilder heraufbeschwört, Menschen erstehen lässt, eine andere Zeit und eine andere Moral nahtlos in die Gegenwart einpasst.

Was für ein grandioses Buch. Ich konnte nur schwer wieder auftauchen.

Meir Shalev, Zwei Bärinnen
Diogenes Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Zwei-Baerinnen-9783257069112
Autor: Dorothee Bluhm
www.wortparade.de

Worldwide Reading zum Gedenken der verstummten Armenier: Wo bleiben die Leipziger Buchhandlungen?

Genozid ArmenierIm April jährt sich 100. Mal der Völkermord an den Armeniern. Während der diesjährigen Leipziger Buchmesse fanden mehrere Veranstaltungen zur Erinnerung statt. Herausragend war die Präsentation des Romanes „Die Armenierin“ von Autor Thomas Hartwig im Forum OstSüd Ost, die vom Kammerchor Shoger umrahmt wurde. Der Weltladen an der Thomaskirche hatte eine Lesung mit Krikor Ceyhan aus „Ein Klopfen an der Tür. Der abenteuerliche Weg des Simon C. aus Zara“ organisiert.

Das Internationale Literaturfestival Berlin ILB und das Lepsiushaus Potsdam rufen für den 21. April zu einer weltweiten Gedenklesung auf. Damit soll gleichzeitig der Forderung nach internationaler Anerkennung des Völkermords Nachdruck verliehen werden. Über 300 Autoren aus 65 Ländern werden an dem Tag aus Varujan Vosganians Roman Buch des Flüsterns lesen, dessen Übertragung ins Deutsche durch Ernest Wichner 2014 für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Der Autor selbst wird am 21. April in Potsdam und am 22. April in München anwesend sein.

Das ILB ruft gleichzeitig Kulturinstitutionen und Organisationen auf, eigenständige Lesungen zu organisieren und literarische Texte auch anderer armenischer Autoren zu lesen. In Leipzig ist dieser Aufruf nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Die großen Händler Lehmanns, Hugendubel und LUDWIG schweigen.

Lesetipp: Varujan Vosganian, Buch des Flüsterns. Paul Zsolnay Verlag, 2013. Online bestellen hier.

Diskussion: Preis der Leipziger Buchmesse für Literaturblogger

Dieser Beitrag richtet sich an alle Leser, besonders aber an Literaturblogger und Autoren.

In der Bloggerlounge der Leipziger Buchmesse 2015 hat Oliver Zille auf meine Frage, ob es denn auch bald einen Preis der Leipziger Buchmesse für Literaturblogger geben könne, geantwortet: „Wir haben das stark im Blick.“

Ich möchte diese Diskussion gern fördern und der Leipziger Buchmesse ein breites Meinungsbild von Betroffenen an die Hand geben. Mögt ihr mich unterstützen?

Ich frage euch:
Wann ist für euch ein Literaturblog preiswürdig?
Welche Kriterien sind für euch wichtig: Genre, Alter, Stil, Reichweite…?
Welche Blogs kommen gar nicht in Frage?
Wie sollte so ein Preis dotiert werden: mit Anerkennung oder mit Preisgeld?
Und wer sollte darüber entscheiden: Jury, Voting der Blogger…?

Ich habe schon viele Blogger und Autoren persönlich angeschrieben. Bitte sagt es auch weiter.

Vielen Dank für eure Mühe.

24 Stunden – 24 Autoren: Gelungenes Schreibexperiment der TOP-Autoren von Amazon

Anthologien sind eine gute Möglichkeit für Autoren, sich vor Veröffentlichung eines eigenständigen Werkes zu präsentieren. Da ist es schon ungewöhnlich, wenn sich 24 renommierte Selfpublishing-Pioniere aus eBook und Print mit beeindruckenden sechs Millionen Verkäufen zu einem gemeinsamen Krimiprojekt zusammenfinden (okay, es sind 21, die Pseudonyme abgezogen). „24 Stunden – 24 Autoren“ ist eine spannende Story mit Abschnitten von Erotik bis Dystopie, die den Leser fordert und immer wieder überrascht.

Cover_24-188x300Die Handlung: Das fiktive Grandhotel am Berliner Kurfürstendamm, nachempfunden dem Kempinski Hotel Bristol, erlebt turbulente 24 Stunden mir einem verschwundenen Fußballer, einem Fenstersturz, einer Schießerei, einem Interpol-Kongress und weiteren menschlichen Tragödien und Liebeleien. Der Reiz: Jedem Autor wurde eine Stunde zugewiesen, die er in seinem Stil und seinem Genre gestalten und dabei Charaktere aus den eigenen Werken einbringen konnte. Zuvor hatte Michael Meisheit, erfahrener Drehbuchautor für die Lindenstraße, in Zusammmenarbeit mit den Krimiautoren Elke Bergsam und Bela Bolten den Plot konstruiert.

Ist so ein Wirrwarr überhaupt reizvoll für einen Leser? „Ich finde, es hat erstaunlich gut funktioniert“, urteilt Lektorin Dorothea Kenneweg. „Beim Lesen lässt man sich schnell auf das Konzept ein, wie auf ein Spiel, und die Abwechslung macht dadurch sogar erst den Reiz aus.  Natürlich muss man gewillt sein, sich auf die verschiedenen Autoren einzulassen – inklusive der verschiedenen Genres.“ Die besondere Herausforderung des Lektorates: Es sollte nicht „glattgebügelt“ werden,  jeder Autor sollte seine Eigenheiten behalten dürfen. „Deshalb gibt es beispielsweise mal ein Kapitel, das im Präsens erzählt ist, während der Rest in der Vergangenheitsform steht; mal in der Ich-Perspektive, mal in der dritten Person. So etwas wurde bewusst in Kauf genommen.“

Mir hat genau dieser Wechsel gefallen, der trotz aller Verschiedenheiten immer wieder den roten Faden der Story gekonnt aufnimmt. Wer sich davon überzeugen möchte, kann hier an einer Verlosung teilnehmen und ein Exemplar gewinnen (noch bis zum 31. März).

Beteiligte Autoren am Projekt „24 Stunden – 24 Autoren“ (in alphabetischer Reihenfolge): Poppy J. Anderson, Elke Bergsma, Béla Bolten, David Gray, Marcus Hünnebeck, Hannah Kaiser, Siegfried Langer, Karola Löwenstein, Nika Lubitsch, Vanessa Mansini, Matthias MattingJule Meeringa, Michael Meisheit, Hanni Münzer, Petra Röder, B.C. Schiller, Klaus Seibel, Catherine Shepherd, Hannah Siebern, Babsy Tom, Daphne Unruh, Mike Wächter, Kirsten Wendt und Ella Wünsche.

Die folgenden Fotos entstanden während der Buchvorstellung im Leipziger Amazon Logistikzentrum am 14. März 2015 (alle Fotos: Detlef M. Plaisier)

Online bestellen: http://amzn.to/1N6X5Nr
www.lieblingsautoren.org

Rundgang zu jungen Independent-Verlagen: Klassiker, Regionales und ganz schön Mutiges

Die Kurt Wolff Stiftung, benannt nach dem legendären Verleger und Entdecker Franz Kafkas, fördert vielfältig die unabhängige Verlags- und Literaturszene. Unabhängig heißt meist klein, aber auch genauso kreativ wie in der Welt der Großen. Stefan Weidle, Mitglied im Stiftungsvorstand, führte humorvoll und schnellen Schrittes eine kleine Lesergruppe zu ausgewählten Verlagen. Hier einige kurze Einblicke:

32_zuKlampen_FJ15_Allgemein_web„Leipzig? Großartig. Hier können wir mit ganz normalen Lesern plaudern.“ Verleger Dietrich zu Klampen aus dem wunderschönen Springe am Deister , unweit von Hannover, ist gut gelaunt. Er präsentiert mit Herzblut regionale Bücher mit Hannover-Bezug, Lyrik, Krimis, Texte zu Wissenschaft und Essays. Essays? „Ja, wir halten das für eine unterschätzte Form. Und wir lieben es, gegen den Mainstream geistige Stinkbomben zu werfen.“

Meine Buchempfehlung aus dem zu Klampen Verlag:
Ingeborg Prior, Sophies Vermächtnis. Die Lebensgeschichte der Kunstsammlerin Sophie Lissitzky-Küppers, Ehefrau des Künstlers El Lissitzky (Wiederauflage). Weitere Informationen hier.

logoPeter Hammer hat es nie gegeben. Die französische Form „Pierre Marteau“ war ein Pseudonym, das kritische Schriftsteller und Drucker im ausgehenden 17. Jahrhundert als Schutz vor Verfolgung durch die Obrigkeit nutzten. Diese Tradition,  gegen den Strich gebürstet und politisch provokant, nimmt der Peter Hammer Verlag mit einem breit gefächerten Programm auf. Es reicht vom Gesamtwerk Ernesto Cardenals in deutscher Sprache über anarchistische Philosophie, afrikanische und lateinamerikanische Literatur bis zum kleinen Maulwurf. „Unsere Autoren wissen, dass sich ein kleiner Stab trotz kleinen Werbebudgets mit guten Kontakten um sie kümmert.“

TZy89BHnAndré Gstettenhofer gründete den Salis Verlag 2007 mit dem Ziel, junge Schweizer Literatur zu fördern. Inzwischen umfasst das Programm auch Autoren aus Österreich und Deutschland, die in Deutsch schreiben; Übersetzungen gibt es nicht. Verlegt wird, was am Herzen liegt, von Belletristik über Wortakrobatik bis zum Kinderbuch. Spannend: „Zehn wichtigste Ereignisse meines Lebens„, ein Langzeitprojekt im Internet.

Meine Buchempfehlung aus dem Salis Verlag:
Tilman Strasser, Hasenmeister. Weitere Informationen hier.

fruehjahr-2015Am meisten hat mich der Guggolz Verlag beeindruckt. Einzelkämpfer Sebastin Guggolz hat gerade sein zweites Programm vorgelegt. Sein Credo: „Ich glaube fest daran, dass die Verlagsbranche nicht stirbt.“ Man dürfe als kleiner Verlag nicht mit den Großen in Konkurrenz treten und müsse sein Programm in höchstens zwei Sätzen beschreiben können. Seine Sätze? „Ich veröffentliche Neuentdeckungen und Wiederentdeckungen.“ Schwerpunkte sind Ost- und Nordeuropa. Coup zum Verlagsstart: Sebastian Guggolz erwarb die Rechte für Frans Eemil Sillanpää, den bisher einzigen finnischen Nobelpreisträger für Literatur (1939). Zum Frühjahr 2015 ist das Meisterstück der färöischen Literatur der Star.

Dies ist auch meine Buchempfehlung:
Heðin Brú, Vater und Sohn unterwegs. Leseprobe und weitere Informationen hier.

buchhandel.de verbessert Reichweite und Rechtssicherheit für Literaturblogger

buchhandel.de ist die bewusste Entscheidung, Medien lokal und online einzukaufen. Über 800 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind angeschlossen, rund zwei Millionen Titel sind verfügbar. Zum Angebot für Buchhandlungen, Verlage und Bibliotheken wirbt buchhandel.de jetzt auch um Literaturblogger. In der erstmals eingerichteten Bloggerlounge der Leipziger Buchmesse stellte Kirsten Haas, im Netz als „Kiki“ unterwegs, die Möglichkeiten vor. 

image_manager__cfu_buchhandel_de_pb_banner_160x125_visual_1„Ihr seid neben den Buchhändlern die Fachleute für Bücher.“ Kiki Haas zieht schnell die Aufmerksamkeit der Blogger auf sich. Und sie kennt deren Nöte: Wann darf ein Buchcover eingebunden werden? Da ist die Abmahngefahr groß. Ab sofort bietet buchhandel.de die Möglichkeit, die Buchcover-Abbildungen des Portals für Literaturblogs zu nutzen. „Das ist kostenlos und schafft Rechtssicherheit“, macht Kiki Haas das Angebot schmackhaft. Nach einer unkomplizierten Registrierung bei buchhandel.de wird ein hinterlegtes Cover in den Blogbeitrag eingebunden. Es erfolgt keine Speicherung auf dem lokalen Blog. Bei einer Änderung des Covers erfolgt eine automatische Anpassung. Zusätzliche bibliographische Informationen sind zunächst nicht geplant. Ungeklärt ist noch die Einbindung auf YouTube.

Ein zweites Angebot verbessert die Reichweite und Sichtbarkeit von Blogs. Auf der Startseite von buchhandel.de werden im zweiwöchigen Wechsel Buchhändler und Blogger vorgestellt. Blogger können zusätzlich zu einem Kurzportrait und der Blog-URL bis zu 24 ihrer favorisierten Titel einstellen. Mittels Archivfunktion können alle vorgestellten Blogs abgerufen werden.

Das Anmeldeformular für Blogger gibt s hier.

Achter Verlag: Ein Dorf in der Eifel macht schöne Bücher

75 Einwohner, ein Hirsch im Wappen und ein Verlag: Das ist das Dörfchen Acht in der Vulkaneifel, Namensgeber für den Achter Verlag von Wolfgang Orians. Er ist Büchermacher mit einem klar formulierten Anspruch: Er will schöne Bücher. Viele davon liegen oberhalb der Preisschwelle von 19,90 Euro. Wolfgang Orians ist überzeugt: „Ein schönes Buch entsteht erst durch das Zusammenspiel des Textes mit professionellem Satz, wertvollem Papier und einem kunstvollen Umschlag.“

achter verlagAlles begann mit einer Anthologiereihe. Seitdem ist Wolfgang Orians von seinem Anspruch treu geblieben: Bibliophil geht vor Gewinnmaximierung. Fadenheftung, Hardcover, angenehme Haptik. Das Programm negiert Mainstream, es gibt bewusst keine Krimis „vom x-ten Dorfkommissar“, auch keine Fantasy. Stattdessen dominiert Belletristik, es gibt kleine Geschenkbücher und ein erstes Reisebuch. Und noch eine klare Ansage: „E-Books im Bereich Belletristik lehne ich ab.“

20 Bücher listet Wolfgang Orians jetzt. Er versucht mit Stammautoren zu arbeiten wie Frederike Frei und Birgit Rabisch und beschäftigt freie Lektoren. Doch 20 Titel reichen nicht einmal aus, um neue Bücher zu produzieren. „Das müssen andere Aktivitäten ausgleichen.“ Die Auflagen der Bücher liegen bei höchstens 1.000 Exemplaren, manche bei 500. Wolfgang Orians: „Ich überlege, künftig vom Offsetdruck auf Digital umzustellen und erstmal nur 200 Exemplare zu drucken.“ Das sei kein Abstrich an den Ansprüchen,  den Unterschied erkenne nur ein Fachmann. Was jedoch jeder Leser auf der Buchmesse klar sehen könne, sei die Tendenz, mit billig gemachten Büchern den Markt zu überschwemmen: „Da wird in Litauen gedruckt, es wird geklebt, und auf ein Lektorat wird völlig verzichtet.“

Wolfgang Orians mag Menschen und Bücher. Er kommt gern nach Leipzig zur Buchmesse. „Nach Frankfurt geh ich nicht mehr, das hat keinen direkten Effekt.“ Ob wir ihn auch 2016 wiedersehen? „Solange das Finanzamt nicht sagt, ich betreibe Liebhaberei…“.

pi_wartenaufdenanrufMeine Buchempfehlung aus dem Achter Verlag: Birgit Rabisch, Warten auf den Anruf. Leseprobe und Bestellmöglichkeit hier.

Qindie: Demokratische Qualitätskontrolle für Indies

„Sind wir doch mal ehrlich: Allein das Etikett Selfpublisher ist kein Gütesiegel. Die wirklich guten, lesbaren und handwerklich anständig gemachten Bücher gehen in der Flut gnadenlos unter. Das wollen wir ändern.“ Regina Mengel hat eine Mission: Sie kämpft gegen den Berg von Selfpublishingmüll. Auf der Plattform Qindie will sie zusammen mit anderen Autorinnen und Autoren Bücher präsentieren, „die einen zweiten Blick wert sind.“ Das Prinzip heißt Kollektiv und Korrektiv: Was aufgenommen wird, wird handverlesen durch demokratische Abstimmung.

Qindie_NL_HeaderSeit  1. Mai 2013 online, bündelt Qindie Rezensenten, Leser, Autoren und Kleinverlage zu einem Kompetenz-Netzwerk. Beachtlich: Über 100 Autoren mit weit über 300 Büchern vertrauen inzwischen dem Konzept. Vertreten sind alle Genres, angenommen werden Print, eBook und auch Hybridformen im Selfpublishing.

Vor der Aufnahme steht eine Prüfung: „Wir beurteilen soft facts und hard facts, aber nie den Inhalt“, betont Regina Mengel. Unter die Lupe genommen werden Rechtschreibung, Grammatik, Interpunktion und Tempora, aber auch Satz, Cover und Schreibhandwerk. „Da wird es durchaus ein wenig subjektiv“, räumt Regina Mengel als Bewerbungsbeauftragte von Qindie ein. Hier kommt die demokratische Komponente der Schwarmintelligenz zum Tragen: Jeder, der auf dem Portal vertreten ist, musste die Prüfung durchstehen, und jeder auf dem Portal ist auch Prüfer. Leseprobe und Cover werden über ein internes Forum verteilt. Im Schnitt voten 30 Mitglieder bei einem Aufnahmeantrag. Vergeben werden Einstufungen von Gold bis Bronze. In Streitfällen urteilt eine Jury aus Autoren und Lektoren.

Am Messestand von Qindie auf der Leipziger Buchmesse 2015, der ersten Messebeteiligung überhaupt, war das Interesse groß. Jeder Autor, der seine Bücher ausstellen wollte, hatte sich an den Kosten beteiligt. Regina Mengel: „Wir machen das alle ehrenamtlich, und manche, die sich engagieren, kenne ich nur über das Netz.“ Mittelfristig müsse Qindie auch wirtschaftlich denken. „Große Partner haben wir schon im Blick“, kündigt Regina Mengel an.

Auf der Homepage von Qindie de finden Autoren ein Bewerbungsformular.

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So viele Buchhandlungen gibt es in Deutschland. Oder ein paar mehr oder weniger. Literaturfreunde feiern heute den Welttag der Poesie und den Indiebookday. Und das Feiern kann jeder öffentlich machen: Wer unabhängige Kleinverleger unterstützen will, kauft heute einen Indietitel bei seinem Buchhändler und verbreitet es im Internet, etwa durch ein Foto oder eine Besprechung.

In meiner Berichterstattung über die Leipziger Buchmesse haben die Indies in diesem Jahr einen besonderen Platz. Das verdanke ich meiner Lieblingsbuchhandlung Lehmanns Media Leipzig und meiner 4782LieblingsIndieBuchhändlerin Franka. Natürlich habe ich sie zum heutigen Tag besucht.

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Tolino umwirbt Selfpublisher – neobooks bleibt gelassen

tolinoAuf der Leipziger Buchmesse war es unter den Selfpublishern ein großes Thema: Tolino, die Allianz der deutschen Buchhändler Thalia, Weltbild, Hugendubel, Club Bertelsmann, Libri sowie einiger kleinerer Anbieter, startet Ende April mit einem eigenen Selfpublishing-Portal. Autoren können dann ihre eBooks direkt hochladen, was bisher nicht möglich war. Zulässig sind die Formate ePub und Word, ein Online-Editor ist integriert.

Kosten fallen für die Autoren nicht an, und die Auszahlungsquote soll, wie bei anderen Plattformen auch, 70 Prozent vom Netto betragen; zunächst begrenzt bis Ende Januar 2016. Die hochgeladenen eBooks erscheinen automatisch bei allen Tolino-Händlern. Autoren können sich jederzeit auch für Preisaktionen entscheiden. Weitere Vorteile: Verkaufszahlen werden tagesaktuell geliefert, Autoren sind nicht zur Exklusivität verpflichtet. Außerdem sollen erfolgreiche Autoren bei Tolino die Chance erhalten, in den angeschlossenen rund 1.500 lokalen Buchhandlungen ihr Werk gedruckt anzubieten.

blog1Über Amazon via Kindle Direct Publishing und Tolino könnten Autoren künftig etwa 90 Prozent des Marktes problemlos erreichen. Könnte dies Plattformen wie neobooks und BookRix Probleme bereiten, ihre Autoren zu halten? Eva-Maria Holzmair von der Verlagsgruppe Droemer Knaur bleibt gelassen: „Den Anteil von 90 Prozent halte ich für überzogen“, sagt sie mir. „Es dürften 70 bis 80 Prozent sein.“ Für neobooks sieht sie zunächst keine Einbußen und empfindet das Tolino-Modell sogar als Rückschritt: „Wir beliefern alle Händler aus einer Hand, und jetzt sollen die Autoren dies wieder selbst übernehmen.“ Tolino sei nicht der erste Konkurrent, der am Markt auftauche. „An unseren Wissensvorsprung müssen andere erst einmal herankommen“, meinst sie selbstbewusst. „Nicht umsonst scouten große Verlage bei uns neue Talente.“